Markenwerte durch 360° Inszenierung
Die Immaterialisierung von Verkaufsräumen hat in den vergangenen Jahren Einzug gehalten: An die Stelle vieler Stores sind Online-Shops getreten, die dank der Digitalisierung immer einfachere und befriedigendere Shopping-Erlebnisse bieten. Doch wie sieht es beim klassischen Point-of-Sale aus? Dieser ist seit geraumer Zeit im Umbruch, um für Konsumenten weiterhin attraktiv zu sein. Mathias Ullrich, Managing Director bei LIGANOVA, stellt 5 Trends vor, die den Handel künftig prägen werden.
SUSTAINABILITY – DER STORE ALS NACHHALTIGER ERLEBNISRAUM
Wie kann man Nachhaltigkeit überzeugend und ganzheitlich als Marke umsetzen? Konzept-Stores überall auf der Welt zeigen, wohin diese Überlegungen führen und wohin die Reise geht. Im Bereich Sustainability dominieren vor allem zwei große Themen: Die Verwendung natürlicher Rohmaterialien wie Stahl, Holz und Lehm sowie die Integration recycelter Stoffe, die im minimalistischen Design und energieeffizienter Gestaltung bei Umbauten und neuen Bauprojekten im Fokus stehen. Darüber hinaus gewinnt die Auseinandersetzung mit Rohstoff- und Materialkreisläufen und die damit einhergehende Veränderung eines Stores hin zur Upcycling- oder Recycling-Manufaktur immer mehr an Bedeutung. Ein Store der koreanischen Sport Brand Kolon Sport auf der Insel Jeju nutzt zum Beispiel Plastikmüll vom lokalen Strand und upcycelt diesen im Geschäft – als Kleiderbügel, Schränke oder Tische. Auch Reparaturservices im Ladenraum sowie ein nachhaltiger und optimierter Lieferkettenkreislauf runden den Markenauftritt ab.
HYPERPHYSICALITY – DIE ÜBERSINNLICHE EXPERIENCE
Um dem Komfort des Digitalen zu begegnen, braucht es eine überzeugende Realität, die besser als das digitale Shopping-Erlebnis ist – und idealerweise beides miteinander verbindet. Besonders Luxusmarken entführen ihre Zielgruppen zunehmend auf eine Erlebnisreise in den physischen Raum: Die Fläche wird zu einer multidimensionalen Sinneserfahrung, die nicht das Produkt in den Mittelpunkt stellt, sondern das Markenerlebnis. Dies geschieht unter anderem mit ungewöhnlichen Designs und Erlebniskonzepten. Für viel Hype sorgten beispielsweise der in Schwimmbad-Blau gekachelte Concept Store von Jacquemus oder der vollständig in pinkem Kunstpelz eingedeckte Store für die „Le Cagole“-Handtasche von Balenciaga. Widersprüchlich, over-the-top, mit allen Sinnen erlebbar und in Einklang mit der individuellen Markenphilosphie – so können moderne Marken, bei den Kunden punkten.
IMMERSIVE EXPERIENCES – DER STORE ALS TOR ZWISCHEN DEN WELTEN
Augmented Reality, NFTs und Gamification – klingt eigentlich nach Metaverse, findet aber direkt vor Ort statt. Beim Fashion Pop-Up von Zero10 konnten Besucher mit AR-App beispielsweise Kleidung digital anprobieren, während der Salvatore Ferragamo Soho Concept Store das freie Spielen mit Designs und Materialien für die eigenen Sneakers zulässt und die Spieler ihre eigenen NFTs minten lässt. Auch Landrover inszeniert den Kunden als Protagonisten des Markenerlebnisses und kreierteeinen mit Kameras bestückten Outdoor-Parcours, an dessen Ende die Fahrer ihren persönlichen Kinofilm erhalten, teilen und die Fahrt damit immer wieder neu erleben können. Der Store fungiert als aktiver Markenraum, der bespielt wird und Online- und Offline-Experiences nahtlos miteinander verbindet. So ist ein unvergessliches Erlebnis garantiert, dessen Dauer auch nach dem Store-Besuch über digitale Kanäle und personalisierte Endprodukte anhält.
CONTENT & COOPERATION – DER STORE ALS MULTIDIMENSIONALER IDENTIFIKATIONSRAUM
Der Fokus neuer Concept Stores liegt vor allem auf dem Story-Selling – fesselnde Inhalte, passende Events, und ein abwechslungsreiches Szenenbild. Ein stimmiger Auftritt lässt den Kunden vergessen, dass er sich in einem Verkaufsraum aufhält. Das Studio Odeonsplatz etwa – der Programmatic Brand Experience Space von Mercedes-Benz in München – bietet neben wechselnden Kampagnen und Installationen kuratierte Kooperationen und Community Events. Auf diese Weise wird der Store zu einem Ort der Identifikation mit der Marke und ihren gelebten Werten und damit zur Keimzelle einer neuen Community. Ein ebenfalls aufsehenerregendes Konzept stellt Nike mit seinem Style Store in Seoul vor: Neben den Produkten bietet das Unternehmen hier ein Content Studio zur Erstellung von Social Media Inhalten an sowie Community Erlebnisse mit wechselnden Workshops und einer „Snkrs“ Lounge. Der Store wird zum Entertainment-Hub, der Produkte, Wissen, Kunst und Kultur aufbereitet und markengerecht inszeniert.
BRAND EXTENSION – VOM VERKAUFSRAUM ZUM ERLEBBAREN MARKEN-LIFESTYLE
Kultur beginnt dort, wo Produkte nicht mehr im Vordergrund stehen, sondern sie in einen gesamtgesellschaftlichen, historischen oder sozialen Kontext eingebettet sind. Das opulente Interior, die internationalen Cocktails und die eleganten Barkeeper des Gucci Giardino 25 in Florenz spiegeln zum Beispiel den Kern der Marke Gucci wider. Die Produkte kann man in diesem Setting jedoch nicht kaufen, sondern sie sind lediglich Accessoires. Die nächste Stufe dieser Markeninszenierung ist das Etablieren von Luxusmarken als Kulturgut. So widmet sich etwa La Galerie Dior in Paris nicht nur intensiv der Geschichte und dem Gründer des Hauses, sondern auch den Stars und Filmen, die mit und von Dior ausgestattet wurden, den ikonischen Designern des Labels und der kulturellen Wichtigkeit der Marke. Darauf setzt auch der Gucci Garden in Florenz und erweckt Marke und Geschichte zum Leben: neben kuratierten Ausstellungsräumen auch mit einem Drei-Sterne-Restaurant. Die Gäste erleben die Marke nicht nur, sie tauchen tief in den gesamten Lifestyle ein.
MARKEN MÜSSEN IN DEN KOMMENDEN MONATEN INNOVATIVER UND MUTIGER WERDEN.
Läden wurden bis zum Aufkommen der Flagship Stores eigentlich nur als Verkaufsflächen gedacht. Alles an diesen Orten wurde jahrzehntelang mit der Hoffnung auf effizientere Verkaufsprozesse und höhere Erlöse optimiert. Dieses rationale Bedürfnis erfüllen Online-Shops inzwischen nahezu perfekt und ersetzen damit die physischen Geschäfte bei dieser Aufgabe. Was Online-Shops jedoch nicht ausreichend abbilden können, sind multidimensionale Markenerlebnisse. Kunden wollen unterhalten und inspiriert werden, nahtlos zwischen digitalen und analogen Welten switchen und Teil einer Community sein, die die gleichen Werte vertritt wie sie. Vor allem wollen sie jedoch von der Marke und ihrer Einzigartigkeit überrascht werden. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass Marken sich stärker auf ihre Kernwerte und -aussagen besinnen, um eine umfassende Brand Experience für die neueste Generation von Käufern zu gestalten. Um sich vom Wettbewerb abzuheben, ihre Zielgruppe effektiv zu erreichen und weiterhin relevant zu sein, werden Marken im physischen Raum im kommenden Jahr viel Neues ausprobieren und auch Risiken eingehen müssen.